Historisches
Die Mitglieder der Pistolensktion Ennetbaden organisieren seit 1959 jährlich unseren, mittlerweile zur Tradition gewordenen Schiessanlass, das Türggenschiessen. Die Bezeichnung dieses Anlasses sorgt immer wieder für Staunen oder gar Kopfschütteln. Oftmals werden unsere Mitglieder nach der Herkunftsbezeichnung dieses Anlasses gefragt. Gerne sorgen wir in dieser Sache "Unbekannt" für Klarheit und bitten alle Interessenten, sich den nachfolgenden Text in aller Ruhe zu Gemüte zu führen.
Warum gerade "Türgge"?
Was wann genau Ennetbaden und seinen Einwohnern einst den Spitznamen "Türggei" bzw. "Türgge" eintrug, ist leider nirgendwo urkundlich belegt. Man ist da bloss auf Vermutungen angewiesen. Sicher aber haben sich Ennetbaden und die Ennetbadener nicht selber so benamst. Und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit waren es die Badener, die ihre lieben Nachbarn ennet der Limmat so bezeichnet haben. Aber wieso denn gerade als "Türggei"?
Nun, durch die Eroberungsfeldzüge der Türken im Balkan mit der Belagerung von Wien (1683) als Höhepunkt und dann hundert Jahre später nochmals durch die beiden Türkenkriege bis zum Frieden von Sistowa im Jahre 1791 hatte weit über Österreich hinaus westwärts alles Türkische und Muselmanische den Beigeschmack von etwas Unheimlichem, ja Bedrohlichem bekommen. Man denke nur etwa an den Erfolg von Mozarts türkischer Grossmut-Oper "Die Entführung aus dem Serail", in der mit den Mitteln des Musiktheaters die bedrohliche Welt der Muselmanen beschworen wird, am freimaurerischen Wesen der deutschen Aufklärung zu genesen; oder - um bei Mozart zu bleiben - an seine Alla Turca-Vertonung von Gleims damals berühmten Gedicht "Meine Wünsche", dessen erster Vers lautet: "Ich möchte wohl der Kaiser sein! Den Orient wollte ich erschüttern, die Muselmänner müssten zittern, Konstantinopel wäre mein!"
Redensarten und Bezeichnungen wie zB. „Wo der Türke hintritt, wächst kein Gras mehr“, der Fluch „Kruzitürken“ oder – schweizerisch – „Chümelitürgg“ und „umetrürgge“ kamen damals auf. Ja, noch Bismarck pflegte Deutschlands sozialliberale Opposition schlicht als das „Türkenpack“ zu nennen……
„Türkisch“ in diesem Sinn mochte denn auch den konservativen Badener Ortsbürgern einst das aufsässig „liberal“ den Fünfer und das Weggli begehrende Treiben der Ennetbadener erschienen sein, das im Jahre 1819 zur Trennung und zur Gründung einer politisch von der Stadt Baden unabhängige Gemeinde Ennetbaden führte. Dabei ist es durchaus möglich, dass auch die beiden Halbmonde mit Sternen im Wappen des alteingesessenen Ennetbadener Geschlechtes der Wetzel bei dieser Spitznamensgebung eine Rolle spielte, setzte sich doch damals der Ennetbadener Coelestin Wetzel als Stadtrat in Baden und Grossrat in Aarau besonders für die Anliegen seiner Dorfgenossen ein. Vielleicht hat beides zusammen; das Wetzel-Wappen und ihre, den hablichen Stadtbadenern lästige Aufsässigkeit den unbegüterten Dörflern „jenseits des Jordans“ einst den Spottnamen „Türgge“ eingetragen.
Türggeball und Türggenzunft
Als sich dann im Laufe des letzten Jahrhunderts das politische Klima zwischen der Goldwand und der Ruine Stein allmählich milderte, wurde in Ennetbaden nur noch an der Fasnacht „umetürgget“. Das heisst: Die als „Türgge“ bespöttelten Ennetbadener benützten anscheinend die Narrenfreiheit der Fasnachtszeit dazu, den Spott mit selbstironischem Witz zu preparieren und den Türkenfez zum selbstbewussten Standessymbol zu erheben. Dies besonders an ihrem Türggenball, einer der ältesten und beliebtesten Fasnachtsaktivitäten der Region.
Dieser Kostümball fand ursprünglich im Saal des Hotels Engel statt, dem Ennetbadener Pendant zum Stadtkasino im Kurpark Baden. Was im Dorf Rang und Namen hatte, meldete sich zu diesem Anlass schriftlich an und erschien am Fasnachts-Samstagabend in Fez und Türkenweste. In der Zwischenkriegszeit wurde der Türggenball in den Neubau der Ennetbadener Turnhalle verlegt. Die Organisation übernahm zuerst die Schützengesellschaft, dann während zwölf Jahren der Kirchenchor und in den letzten Jahren die Türggenzunft. Dabei ging die fastnächtliche „Turkomanie“ bisweilen soweit, dass man nicht nur einzeln, sondern auch vereinsweise orientalische Trachten aus der Türkei importierte und sogar Ennetbadens holde Weiblichkeit ihre kostbaren Frisuren in die Blumentopfenge eines Türkenfezes zwängte!
Und wie die Alten sungen, so zwitscherten auch bald die Jungen. Für die kleinen und kleinsten Jungtürggen ist der Kinderumzug mit anschliessendem Kinderball in der Turnhalle am (in Ennetbaden immer noch) schulfreien Nachmittag des Fasnachts-Montags längst zur liebenswerten Tradition geworden. Und am selben Abend endet dann die Ennetbadener Fasnacht auch für die älteren Semester, die sich als Organisatoren fasnächtliche Verdienste erworben haben, nach den Aufräumungsarbeiten in der Turnhalle mit einem fröhlichen Gratis-Kehraus.